„Ich weiß jetzt viel besser, was ich für mich möchte“

„Ha Nuh ist sehr gut organisiert, arbeitet selbstständig und sieht die Arbeit“, so Diane Kästner, die in Weckelweiler für den Bereich Kultur und Freizeit verantwortlich ist. Wie viele Kurse, Konzerte, Lesungen oder Exkursionen sie für die Bewohner:innen und Werkstattbeschäftigten der Weckelweiler Gemeinschaften anbieten kann, hängt auch von der tatkräftigen Unterstützung durch Menschen wie Ha Nuh Nong ab, die sich ein Jahr lang für einen sogenannten Freiwilligendienst verpflichten.
Bereits in den 1980er Jahren kommen Ha Nuhs Eltern, damals noch getrennt voneinander, über Tschechien nach Europa. Von dort aus führt sie ihr bewegtes Leben in die damalige DDR, zurück nach Vietnam und wieder nach Deutschland. Über die Pfalz finden sie schließlich Arbeit und Heimat zunächst in Künzelsau. 2002 kann das Paar in Ingelfingen endlich Fuß fassen.
2004 werden Ha Nuh und ihrer Zwillingsschwester Ha Lan im Haller Diak geboren. Mit drei Jahren gehen sie in den Kindergarten. „Ich konnte damals kein Deutsch“, erinnert sich Ha Nuh. Sie erhält zusätzliche Spracherziehung. „Damals habe ich erkannt, dass ich aus einer ausländischen Familie bin und irgendwie anders bin. Belastet hat mich das nicht“, so die junge Frau rückblickend. Mit sechs Jahren wird sie auf Wunsch ihrer Eltern eingeschult. Noch immer hat sie gewisse Sprachdefizite, die über zusätzliche Lesestunden, Sprach- und Rechtschreibeübungen in der Schule ausgeglichen werden.
„Meine Eltern haben mir soziale Kompetenzen vermittelt und mich immer unterstützt, in der Schule konnten sie mir nicht helfen, auch nicht bei den Matheaufgaben“, erzählt Ha Nuh. Trotzdem wechseln sie und ihre Schwester nach der Grundschule auf die Realschule. Erste Erfahrungen mit Alltagsrassismus bleiben nicht aus. „Ich habe die Vorurteile und die Sprüche einfach ignoriert und bin gar nicht auf die Idee gekommen, mich zu wehren oder dagegen anzugehen. Ich glaube, das hätte ich gar nicht gekonnt“, so Ha Nuh schulterzuckend. An richtig schlimme Erlebnisse erinnert sich die ruhige, auf den ersten Blick schüchtern Wirkende nicht. Den Realschulabschluss schafft sie mühelos mit einer 1 vor dem Komma. Eine gute Bildung für die Töchter ist im Hause Nong ein hohes Gut. Ha Nuhs nächstes Ziel ist daher das Abitur. „Mir ging dann aber doch die Kraft und die Lust aus“, erzählt sie. Ein halbes Jahr vor dem Abitur geht sie von der Schule ab, denn sie weiß, dass sie durch einen anschließenden Freiwilligendienst dennoch die Fachhochschulreife und damit eine Studienberechtigung erhält.
Wer hätte wohl gedacht, dass das Schreiben von Pressemitteilungen und Berichten, eine ihrer Aufgaben in Weckelweiler, einmal zu den Kompetenzen von Ha Nuh Nong im Lebenslauf gehören würde? „Mein Freiwilligendienst in Weckelweiler ist super vielfältig, bunt und anspruchsvoll – auf eine sehr positive Weise“, zieht Ha Nuh nach acht Monaten Bilanz. Sie sei hier mit offenen Armen und großem Interesse an ihrer Person aufgenommen worden. Weckelweiler, das seien vor allem herzliche Begegnungen und zahlreiche Möglichkeiten. „Ich habe auch viel über mich gelernt, bin viel reflektierter und weiß viel besser, was ich für mich möchte“, sprudelt es fast aus ihr heraus. Vergangene Woche habe sie zum Beispiel ganz alleine an einem Tanzworkshop in Stuttgart teilgenommen. Noch vor ein paar Monaten undenkbar.
Mit dem neuen Selbstbewusstsein als Grundlage war es für Ha Nuh Nong auch leicht, sich erfolgreich um einen Ausbildungsplatz zu bewerben. Mit der Ausbildung im Veranstaltungsmanagement bei einem großen Unternehmen in Künzelsau knüpft sie ab dem 1. September wieder an eine Familientradition an. Denn auch ihre Mutter ist innerhalb der deutschlandweiten vietnamesischen Community in diesem Bereich engagiert und organisiert seit Jahren Großveranstaltungen und unterschiedlichste Treffen.
„Ha Nuh wird ihren Weg machen, sie hat alles, was es dafür braucht“, zeigt sich Diane Kästner überzeugt. Schritt für Schritt und in Ruhe will Ha Nuh Nong das angehen. Wer angekommen ist, hat keine Eile.