Werdegänge sind ein Glücksfall für die Weckelweiler Gemeinschaften

Vom Bufdi zur gesuchten Fachkraft (von links): Kodzo Venunye Vossa, Essenam Aboudou und Adjé-Victor Dogbe arbeiten künftig als Heilerziehungspflegerin beziehungsweise -pfleger bei den Weckelweiler Gemeinschaften.
Adjé-Victor Dogbe (31) zeichnet einen Baum mit Wurzelwerk, Stamm, Früchten und dichtem Laub. In fünf Jahren will er mit seinen Fähigkeiten in Deutschland tief verwurzelt sein. Der hohe Stamm steht für die lange Entwicklungszeit, die er für das Ankommen gebraucht hat, beschreibt er seine Zeichnung. Die Früchte stehen für das Erreichen seiner Ziele, die Blätter für die Menschen, denen er helfen kann.
Victor, wie er in Weckelweiler genannt wird, kam vor vier Jahren zusammen mit Essenam Aboudou und Kodzo Venunye Vossa nach Hohenlohe. Victor und Kodzo hatten in Lomé, der Hauptstadt ihres westafrikanischen Heimatlandes, Deutsch studiert. Essenam erwarb ihre Deutschkenntnisse dort an einer Privatschule. „Deutschland ist für mich ein Land voller Möglichkeiten“, beschreibt Kodzo (32) seine Motivation, einen Bundesfreiwilligendienst zu absolvieren.
„Weckelweiler kannten wir über meine Schwester, die hier auch arbeitet“, erzählt Essenam (34). Doch als die drei im sehr ländlichen Weckelweiler eintrafen, war vieles trotzdem anders als erwartet. Sie hatten keine konkrete Vorstellung davon, was das Arbeiten mit Menschen mit psychischer oder geistiger Behinderung bedeutet. Auch die deutsche Mentalität war ihnen fremd.
„Hier ist es höflich, mit Fremden Blickkontakt aufzunehmen. Das gilt bei uns als aggressiv“, so Victor. Auch die deutsche Direktheit mussten sie erst schätzen lernen. „Wenn mich in Togo jemand um Hilfe fragt, sage ich Ja, auch wenn ich weiß, dass ich nicht helfen kann. Die Deutschen sagen einfach Nein. Wenn sie aber Ja sagen, sind sie auch zum vereinbarten Zeitpunkt da“, beschreibt Essenam den Unterschied. „Das Herz darf nicht fehlen, dann ist diese Offenheit wirklich gut“, ergänzt Kodzo.
Sie waren alle alt genug, um sich auf die Situation einzulassen und entschieden sich erfreulicherweise sogar, nach dem einjährigen Freiwilligendienst eine Ausbildung in der Heilerziehungspflege anzuschließen. „Die Zusage für den Ausbildungsplatz haben wir zusammen in Stuttgart gefeiert, überhaupt haben wir alles zu dritt gemacht – gelacht und geweint“, so Essenam rückblickend.
Kodzo erinnert sich an eine harte Phase im zweiten Ausbildungsjahr. „Mein Vater ist gestorben, ich hatte große familiäre Pflichten“, erzählt er. Gespräche mit seinem Praxisanleiter und der Wohngruppenleitung halfen ihm in dieser Zeit sehr.
Zuversicht gab ihm auch die Fußballabteilung des TSV Gerabronn, bei der Kodzo aktiv ist und schon beim ersten Spiel ein Tor schoss. „Wenn ich hier keinen Ausbildungsplatz bekommen hätte, hätten sie mich bei der Ausbildungsplatzsuche unterstützt“, so Kodzo.
Es war auch seine Fußballmannschaft, die ihm eine Gitarre schenkte. Kodzo lernte schnell und gründete zusammen mit Victor und dem aus Tadschikistan stammenden Klassenkameraden Yusuf Toshjhojaev eine Band. „Don’t worry“ nennt sich das Trio, das bereits zahlreiche Auftritte innerhalb der Weckelweiler Gemeinschaften hinter sich hat.
Die Abschlussprüfungen am Ende der Ausbildung haben es in sich. Die drei aus Togo motivieren sich gegenseitig. Essenam besteht mit einer Eins, auch die beiden Männer können zufrieden sein. Mit dem Abschluss in der Tasche könnten sie überall in Deutschland arbeiten, doch die frischgebackenen Fachkräfte bleiben Weckelweiler treu. „Wir werden hier wahrgenommen, Weckelweiler ist wie ein Zuhause“, so die Begründung.
„Angesichts des Fachkräftemangels sind die drei Werdegänge für uns natürlich ein absoluter Glücksfall, auch menschlich bereichern uns Essenam, Victor und Kodzo sehr“, betont Bernhard Baumann-Ickes, der die drei als „Incomer“ anwarb und für sie stetiger Ansprechpartner innerhalb der Gemeinschaften blieb. Mit seiner Erfahrung, seinem Verständnis für fremde Kulturen und seinen detaillierten Kenntnissen im Ausländerrecht war er ihnen stets eine Stütze. „Ich könnte mir vorstellen, irgendwann einen Job wie Bernhard zu machen“, meint Kodzo anerkennend. Seine Zeichnung zeigt ihn in fünf Jahren an einem Schreibtisch.